Ich laufe die Wege von damals. All jene die ich damals in unendlichen Runden lief. Die ich lief, um das immer währende Summen meines Gehirns aushalten zu können, um die stetige Unruhe meines Daseins ohne Boden irgendwie kanalisieren zu können. Damals. Rann mir der Schweiß über die Haut und die Schwere der ersten Sommernächte ließ mich nicht schlafen. Heute ist der See vereist. Meine Wangen gerötet. Meine Hände taub und geschwollen. Ich laufe den ganzen Weg und es fühlt sich ewig an. Ein schwerer Blumenstrauß in meinen Armen. Doch es ist wichtig, richtig und nötig. Dies ist die Beendigung einer Runde, die ich vor neun Monaten begann. Ein Abschließen welches sich vor dem Backsteingebäude mit der schönen Parkanlage auftut. Ich laufe genau so zielorientiert wie damals. Die kahlen Bäume, welche damals vom Flieder bedeckt waren. Die Raucherecke in der man seinen Schmerz kurzweilig zuteeren konnte und schließlich, als ich eintrete, der klinische Geruch. Laufe. Die Treppen, die ich damals in überkurzen Hosen heruntergesprungen bin. Ich erinnere mich an mein Fühlen damals. Die raue See in der ich überleben wollte, musste. Und jetzt? Die See ist ruhig. Hin und wieder eine Welle. Doch der Schmerz ist verschwunden irgendwo hat er sich nach der Heilung in meiner Tiefsee niedergelegt. Die Menschen sagen mir, dass ich so gesättig wirke. In mir ruhend. Der Wellengang fand eine Basis. Die Basis in mir selbst, die mich so verlässlich auffangen kann. Ein Rhytmus. Damals. Wie ich mit zitternden Beinen in die Notaufnahme schritt. Nur ein Wunsch, endlich wieder Kraft zu haben. Daran denkend würde ich dieses angsterfüllte Mädchen gern umarmen. Diese sehnende Sucht, die ich in mir trug. Nach etwas Starkem. Nach jemandem, der für mich stark war. Doch ich fand die Stärke und zwar in mir selbst.
Ich gebe die Blumen der Schwester. Sie erkennt mich. Danke. Die Runde ist beendet, doch ich werde sie immer in mir tragen. Der Beweis, den ich damals gern gehabt hätte. Ein Beweis, dass sich jeder Kampf lohnt. Jede einzelne Runde.
Ich hab nur das eine Leben. Ein Leben welches ich wählte weiterzuführen. Das ich ohne Angst führen möchte. Das etwas bedeuten soll. Für das ich dankbar bin. Meins.
absatz
Hydraulik des Seins
ein Bruchstück aus einem Bruchstück
ich bin ein Mosaik
alles an und in mir
ein Ergebnis aus Fragmenten
die Überbleibsel und Grundessenzen
aus allem je erlebten
es ist ein Prisma
manches außen sichtbar
das meiste nur für mich erkennbar
ein jedes Fragment lässt sich langsam modifizieren
mit der Zeit werden sie kleiner und größer
drängen in den Vordergrund
verdrängen sich in den Schutz des Hintergrundes
um aus dem Unterbewusstsein zu agieren
es wirft mich hin und her
ich lass mich schubsen
lasse jedes Bruchstück los
lasse alles fallen
sie liegen vor mir ausgebreitet
jedes einzelne hebe ich auf
drehe es in der Hand
betrachte es –
jede Furche
jede Kerbe
jede Farbe
beobachte das wirken der Einzelteile
integriere jede kleinste Regung
spüre jeden Schmerz einer Schneide
und jede Beruhigung einer Rundung
letztlich steht alles im Zusammenhang
und fließt
ineinander
springt an den Punkt der Herkunft zurück
ohne sich einzuschleifen
sich ständig erneuernd
eine semipermeable Metamorphose
ohne bestimmbaren Anfang
ohne bestimmbares Ende