Anna sagt, dass für die meisten Berliner kein Glück ohne melancholischen Unterton existiert. Das Blau schneidet sich am Plattenbau. Manchmal erglühen die großen Fenster in den obersten Stockwerken. Goldene Reflektionen der statisch, wuchtigen Prismen. Im Winde steht kurz alles still. Der Feinstaub kriecht in meine Bronchien. Etwas kribbelt. Auf die Geräusche legt sich eine Decke, während ich nicht entscheiden kann, nicht entscheiden will, ob sich die Größe Vollkommen oder einsam anfühlt. Die Vibration, die Schnelligkeit – ein graues Gefühl von Zuhause, welches wir mit Lichterketten verzieren und uns verlieren. Bei vollem Bewusstsein. Im Wahnsinn. So sehr daran gewöhnt, dass die Präsenz des Elends eine Präsenz von Schönheit nicht ausschließt. Es ist selbstverständlich. Alltag. Unsere Leben kommen nicht ohne Dramen aus. Sie schreien „Berlin du lässt mich nicht los“ und ich denke daran, wie oft ich aus diesem Wahnsinn flüchtete und doch immer wieder zurückkehrte. Der graue, mit Kaugummi und Glitzer gesäumte Boden ebnet meine Wege und saugt die Erinnerungen übermüdeter Gliedmaßen in sich auf. Die Sonne spiegelt sich golden. Ein schwerwiegender, tröstender Puls. Egal wie oft ich es trenne, eine andere Geborgenheit anteste. Die Rückkehr liegt immerwährend auf der Hand. Berlin. Du vereinst Hass und Liebe. Ich adaptiere es in mein Wesen und bin darüber nicht allzu verwundert. Zuhause ist bisweilen nur das, was man am besten kennt.
Scheiße. Anna hat Recht.
liebe
magenta
Fluchend kramte ich in meinen Manteltaschen. Wenigstens war es kalt genug. Russenpeitsche vom feinsten. Wenn die Luft so eisig ist, dass sich jeder Atemzug wie ein sauberer Schnitt durch die Luftröhre zum Zwerchfell anfühlt. Ich habe dass Gefühl dann besser danken zu können. Nur meine Hände wehrten sich, schwollen an, wurden trocken und rissig und färbten sich Magenta. Magenta. Meine tauben Finger fanden etwas in der hinterletzten Ecke meiner linken Manteltasche. Lange vergessen, vielleicht auch verdrängt, lag dort der Beweis einer vergangenen Koexistenz auf meiner Hand. Ich erinnerte mich an die schönsten Hände, die ich bis dato gesehen hatte, dass sie meine griffen, dass wir im Sonnenlicht tanzten. Ich erinnerte mich an einen knallbunten Kaugummiautomaten, der mit seinen quietschenden Farben unser übertriebenes Gefühlskonfetti unterstrich. Die schönen Hände drehten am Knauf und schenkten mir einen Ring mit magenta Plastikherzen. Magenta – mein Fixpunkt änderte sich. Von meiner Hand schaute ich zu dem Geländer an dem wenige Fahrräder angeschlossen waren. Darunter ein altes, magentafarbenes Damenrad. Die Farbe blätterte etwas ab, wie auf den Herzen meines Rings. Ich seufzte und legte den Plastikring auf den Sattel. Dieser Gegenstand mochte für mich nur eine vergorene Erinnerung an die Endlichkeit sein. Doch in Zeiten des Graus schien es mir passend knallige, magentafarbene Plastikherzen einzugliedern. Ein Fremder. Ein magentafarbenes Fahrrad und die eisig, graue Mattscheibe. Wir treffen uns in der Mitte meiner Lemniskate um einen Schatz zu bergen. Ich zeichne sie in den Schnee.
Am nächsten Tag steht das Fahrrad nicht mehr an der Station und ich trage die Gewissheit in mir, dass die kleinen Plastikherzen jemandem das eisige Herz erwärmten.
da kann man sich so schön drüber wundern
Bei manchen Menschen scheint das Glück nicht aufzuhören. Eine Verbindung auf den ersten Blick. Liebe gibt es in verschiedenen Formen und so versinkt man in der jeweiligen Blase. Es regieren Vertrauen und Leichtsinn.
Während wir so durch die Straßen wandern wird alles plötzlich elektrisch. Die heiße Luft vibriert. Sie wird greifbar. In mir drin legt sich eine sanfte Melancholie nieder und ich bin nur noch berührt. Berührt von der traurig schönen Realität, von Vergangenheit Gegenwart und Zukunft. Mein Herz platzt.
…und ganz plötzlich bekommt mein Leben wieder die Farben, die so lange fehlten. Wie Aquarellfarbe, die sich ganz allmählich auf dem Papier ausbreitet, wird mein Dasein vom Zauber überschwemmt. So ertrinke ich am liebsten.