Die Diskrepanzen der Omnipräsenz. Ein wackeliges Gestell. Gedankenstränge, Synapsen heizen sich an der Hinterfrage auf. Meine Nasenspitze reckt sich zum Himmel und legt das immer währende Zerteilen der Atome lahm. Zu oft fokussiert auf meine Ebene. Jedes Mal überrascht von der Existenz des Ganzen. Jenes kupplige, unendlich weite, verschiedenfarbige Etwas über unseren Köpfen, legt mir jede Antwort auf die Hand. Lockert die Maschen, ohne groß zu argumentieren. So klar wie das Blau über uns, so beständig, wie die Sternkonstellationen, sind die meisten Lösungen. Wann hat verkrampftes Denken, ein zermatertes Gehirn je zum Ziel geführt. Lass verdammt nochmal los. Gedankenverloren schreibt ein Freund mit dem Kugelschreiber auf seine Haut. „Platz ist nicht unendlich.“
schriftsteller
da wo mein gedächtnis ans vermächtnis grenzt
Anna sagt, dass für die meisten Berliner kein Glück ohne melancholischen Unterton existiert. Das Blau schneidet sich am Plattenbau. Manchmal erglühen die großen Fenster in den obersten Stockwerken. Goldene Reflektionen der statisch, wuchtigen Prismen. Im Winde steht kurz alles still. Der Feinstaub kriecht in meine Bronchien. Etwas kribbelt. Auf die Geräusche legt sich eine Decke, während ich nicht entscheiden kann, nicht entscheiden will, ob sich die Größe Vollkommen oder einsam anfühlt. Die Vibration, die Schnelligkeit – ein graues Gefühl von Zuhause, welches wir mit Lichterketten verzieren und uns verlieren. Bei vollem Bewusstsein. Im Wahnsinn. So sehr daran gewöhnt, dass die Präsenz des Elends eine Präsenz von Schönheit nicht ausschließt. Es ist selbstverständlich. Alltag. Unsere Leben kommen nicht ohne Dramen aus. Sie schreien „Berlin du lässt mich nicht los“ und ich denke daran, wie oft ich aus diesem Wahnsinn flüchtete und doch immer wieder zurückkehrte. Der graue, mit Kaugummi und Glitzer gesäumte Boden ebnet meine Wege und saugt die Erinnerungen übermüdeter Gliedmaßen in sich auf. Die Sonne spiegelt sich golden. Ein schwerwiegender, tröstender Puls. Egal wie oft ich es trenne, eine andere Geborgenheit anteste. Die Rückkehr liegt immerwährend auf der Hand. Berlin. Du vereinst Hass und Liebe. Ich adaptiere es in mein Wesen und bin darüber nicht allzu verwundert. Zuhause ist bisweilen nur das, was man am besten kennt.
Scheiße. Anna hat Recht.
checkmate
Injustice
Everywhere.
Every. Where – did it start?
Insomnia is kicking through all the worries.
I am constantly thinking about my friends in the struggling country’s. Because someone is playing a game. Because someone created a team of civilians, people who never wanted to volunteer but became part of it overnight. When one action lead to another. One action lead to another beating of an innocent human being. It’s a battlefield. I followed the games through the news. Games of hunger. Games of weapons, blood, killing. I watched all the pain popping up on my screen. One after another. Action after action. Until I suddenly ended up removing the screen. Just by actually visiting a place where the struggle never ended. I made friends. Some of them became family. Brothers, sisters. Hospitality and kindness on a level I didn’t experience before. It continues in front of my eyes. Action after action until another innocent nature got executed. Bang – checkmate! Not a stranger on the screen anymore. I am back home watching the happenings. Back home in safety. So many privileges – some got so used to them, they are not even able to appreciate it anymore. Real empathy evolved. Action after action. I. AM. SCARED. Got even more sensitive for all the happenings of injustice and I feel helpless. Because I see all the resistance but in the end it’s still the game and I scream for Palestine, Gaza, Syria, Yemen and all the other places full of beautiful kind human beings. Families, children, sisters, brothers. Action after action my screams end up against a wall and the only thing that’s left are my words. Words of hope. Words of resistance. I am so angry. They say it’s a bad thing but I believe if there is oppression, injustice, hunger, occupation, blood, guns – anger can be used as a source of power. Such as love and I am angry for the people I love so much. Action after action. I scratch up all my love, empathy and tears. I carry the stories in my heart and continue to scream. Because in the end it’s all l can do. It’s all I have. Action after action. My words. Words of anger, words of love. They are going to resist to exist until the very end of the game. One day. Checkmate!
magenta
Fluchend kramte ich in meinen Manteltaschen. Wenigstens war es kalt genug. Russenpeitsche vom feinsten. Wenn die Luft so eisig ist, dass sich jeder Atemzug wie ein sauberer Schnitt durch die Luftröhre zum Zwerchfell anfühlt. Ich habe dass Gefühl dann besser danken zu können. Nur meine Hände wehrten sich, schwollen an, wurden trocken und rissig und färbten sich Magenta. Magenta. Meine tauben Finger fanden etwas in der hinterletzten Ecke meiner linken Manteltasche. Lange vergessen, vielleicht auch verdrängt, lag dort der Beweis einer vergangenen Koexistenz auf meiner Hand. Ich erinnerte mich an die schönsten Hände, die ich bis dato gesehen hatte, dass sie meine griffen, dass wir im Sonnenlicht tanzten. Ich erinnerte mich an einen knallbunten Kaugummiautomaten, der mit seinen quietschenden Farben unser übertriebenes Gefühlskonfetti unterstrich. Die schönen Hände drehten am Knauf und schenkten mir einen Ring mit magenta Plastikherzen. Magenta – mein Fixpunkt änderte sich. Von meiner Hand schaute ich zu dem Geländer an dem wenige Fahrräder angeschlossen waren. Darunter ein altes, magentafarbenes Damenrad. Die Farbe blätterte etwas ab, wie auf den Herzen meines Rings. Ich seufzte und legte den Plastikring auf den Sattel. Dieser Gegenstand mochte für mich nur eine vergorene Erinnerung an die Endlichkeit sein. Doch in Zeiten des Graus schien es mir passend knallige, magentafarbene Plastikherzen einzugliedern. Ein Fremder. Ein magentafarbenes Fahrrad und die eisig, graue Mattscheibe. Wir treffen uns in der Mitte meiner Lemniskate um einen Schatz zu bergen. Ich zeichne sie in den Schnee.
Am nächsten Tag steht das Fahrrad nicht mehr an der Station und ich trage die Gewissheit in mir, dass die kleinen Plastikherzen jemandem das eisige Herz erwärmten.
Bruchstücke der schönen Tage
Ein Spaziergang durch den Schnee. Wir laufen ineinander verhakt. Eine Geborgenheit, die nur uns gehört. Mittig liegend in der von uns gebildeten Lemniskate. Treten auf Glitzern, Knirschen, Weiß. Eisig. So eisig, dass meine Zehen taub sind – ich das Gefühl habe, die Poren meiner Nase sind erfroren. Gefroren. Aufgetaut. Neugeboren.
Mein Blick ist aufmerksam geworden. Für die kleinen Dinge. Jene, die sich so offensichtlich in unserer Sicht präsentieren und doch so oft verschleiert blieben. Mein müder Kopf legt sich nieder. In ihre Schatten und in ihren Schimmer. Meine Hände versuchen es zu greifen. In die Wärme, die Farben, den Staub in der Schwebe.
Dein Körper. Ins Sonnenlicht getaucht. In den Laken schmiegt sich alles aneinander. Es ist ein Fluss. So geschmeidig, wie das Wort. Ich möchte diesen Moment in meinen Synapsen konservieren. Diese reine Schönheit des Selbstverständnis in meine Denkmuster integrieren. Das Dunkle mit noch mehr Beweisen, widerlegen.
Auch wenn sich das Eis durch alle Schichten beißt, meine ich mit jedem Tag mehr und mehr die Tage des Frühlings zu erahnen. Vielleicht ist es auch mein inneres, kindliches Strahlen. Ehrlich. Ich bin ganz aufgeregt und kann das Kommende kaum erwarten. Geht das – Leichtsinn und ausgeglichene Ruhe in einem?
Vielleicht. Anscheinend.
Blaue Flecken
Ich zeichne mit der Klinge
Kreuz um Kreuz auf deine Stirn
während ich mich leise singe
in dein schwammiges Gehirn
Blut läuft über dein Gesicht
es strömt in warmen Linien
und als wäre es ein Schwergewicht
erlöst ’s mein graziles Siegen
Du prägst dir ein mein Dogma
du hinterfragst nicht, du folgst
ich schenke dir mein Stigma
während du vor Freude lallst.
Über die hypnotisierte Verstörung
wird dir der Kruzifix entrissen
du lächelst nur debil mit Schwung
und verdrängst absentes Wissen
Ausgetauscht wurde nun dein Deus
umgepolt haben wir deinen Sinn
siehst nun in mir deinen heiligen Klerus
konstant betend mein Gespinn
Nun ziehe ich an den Fäden
augenblicklich folgt die Tat
demaskiere deine Schäden
und zerstöre deine Sat
19-07-15 – ©Jane van Raudi
die Zeitkapsel im Paradies
Mein Dasein, mein Kosmos, meine Blase.
All das gewinnt und verliert an diesem Ort zu viel Bedeutung
– gleichzeitig.
Hier ist alles und nichts.
Ich tanze durch den Sand in Lemniskaten und lasse mich von den Wellen an Land spülen, wie ein kleines Kind. Über mir kommt ein Stern nach dem anderen zum Vorschein. Ich fühle mich so vollkommen, wie unsicher. Dieser Ort ist Gegensatz. In Schönheit und Abgeschiedenheit liegt viel zu viel Raum für das eigene Dasein. Das Meer ist schonungslos und rührt am Unterbewusstsein. Selten benutzte Saiten deren Schall viel zu viel Staub aufwirbelt. Die sengende Sonne brennt jegliche Gedanken aus und gleichzeitig ergötzt sie sich an meiner qualvollen Gehirnschmelze. Doch es ist wie Glas. Man kann jegliches schmelzen in Vollkommenheit verwandeln.
Mit Grund und Boden und einem Sinn und Verstand.
Espalk
Ich laufe die Wege von damals. All jene die ich damals in unendlichen Runden lief. Die ich lief, um das immer währende Summen meines Gehirns aushalten zu können, um die stetige Unruhe meines Daseins ohne Boden irgendwie kanalisieren zu können. Damals. Rann mir der Schweiß über die Haut und die Schwere der ersten Sommernächte ließ mich nicht schlafen. Heute ist der See vereist. Meine Wangen gerötet. Meine Hände taub und geschwollen. Ich laufe den ganzen Weg und es fühlt sich ewig an. Ein schwerer Blumenstrauß in meinen Armen. Doch es ist wichtig, richtig und nötig. Dies ist die Beendigung einer Runde, die ich vor neun Monaten begann. Ein Abschließen welches sich vor dem Backsteingebäude mit der schönen Parkanlage auftut. Ich laufe genau so zielorientiert wie damals. Die kahlen Bäume, welche damals vom Flieder bedeckt waren. Die Raucherecke in der man seinen Schmerz kurzweilig zuteeren konnte und schließlich, als ich eintrete, der klinische Geruch. Laufe. Die Treppen, die ich damals in überkurzen Hosen heruntergesprungen bin. Ich erinnere mich an mein Fühlen damals. Die raue See in der ich überleben wollte, musste. Und jetzt? Die See ist ruhig. Hin und wieder eine Welle. Doch der Schmerz ist verschwunden irgendwo hat er sich nach der Heilung in meiner Tiefsee niedergelegt. Die Menschen sagen mir, dass ich so gesättig wirke. In mir ruhend. Der Wellengang fand eine Basis. Die Basis in mir selbst, die mich so verlässlich auffangen kann. Ein Rhytmus. Damals. Wie ich mit zitternden Beinen in die Notaufnahme schritt. Nur ein Wunsch, endlich wieder Kraft zu haben. Daran denkend würde ich dieses angsterfüllte Mädchen gern umarmen. Diese sehnende Sucht, die ich in mir trug. Nach etwas Starkem. Nach jemandem, der für mich stark war. Doch ich fand die Stärke und zwar in mir selbst.
Ich gebe die Blumen der Schwester. Sie erkennt mich. Danke. Die Runde ist beendet, doch ich werde sie immer in mir tragen. Der Beweis, den ich damals gern gehabt hätte. Ein Beweis, dass sich jeder Kampf lohnt. Jede einzelne Runde.
Ich hab nur das eine Leben. Ein Leben welches ich wählte weiterzuführen. Das ich ohne Angst führen möchte. Das etwas bedeuten soll. Für das ich dankbar bin. Meins.
Sternegucker
Fernab von der Menge treiben wir durch die Stadt. Es ist Nacht und die Straßen sind leer. Jemand berührt mich am Arm und erzählt mir von neuen Orten in einer anderen Sprache. Ich übernehme liegend das Kommando und führe unsere Fingerspitzen in den Himmel. Wir richten den Blick nach oben, in diesen unbegreiflichen Raum welcher uns tagtäglich umgibt. Verwirrte, junge Seelen – auf der Suche nach Bildern in der Dunklen Nacht. Ich verbinde Stern um Stern und bin ganz verloren an einem Ort, an dem ich eigentlich nicht mehr sein sollte. Dort treiben wir gemeinsam fort von unserer gemeinsamen Realität und finden uns am Rande des Meeres wieder.
maybe tomorrow – maybe the day after tomorrow
Acht Leute quetschen sich in’s überhitzte Auto. Ich sitze vorne auf Sams Schoß und blicke in den Seitenspiegel. Ich habe das Gefühl seit langem endlich wieder wirklich erholt auszusehen. Keine Augenringe mehr, keine eingefallenen Wangen und von der Sonne geküsst. Endlich zeichnet sich die psychische Wandlung auch wieder in meinem Äußeren ab, anstatt sich in einer geisterhaften Erscheinung meiner selbst noch nachtragend zu manifestieren.
Wir fahren über die staubige Landstraße Richtung Meer. Die Luft steht und drückt die Brust nieder. Ich strecke meine Hand aus dem offenem Fenster um den Fahrtwind zu spüren. Der Strand besteht eigentlich nur aus Klippen, was meiner Ansicht nach wesentlich angenehmer mit der sengenden Sonne harmoniert, als überhitzter Sand. Das Wasser ist türkisblau und glasklar, wie aus dem Bilderbuch. Es ist unheimlich salzig und so kann man sich ohne große Anstrengung einfach treiben lassen. Man muss nur ein wenig auf die Seeigelvölker Acht geben.
Ich schließe meine Augen und lausche dem Meer, während Sasa einen seiner Monologe über das Weltgeschehen hält. Früher hat er Dinge die niemand brauchte an Haustüren verkauft, irgendwann ist die Blase zerplatzt. Er fand das nicht mehr richtig. In der Nähe Šišans kauft er ein Grundstück und lebt dort erstmal für ein Jahr allein und abgeschieden. Irgendwann stößt der Pole Marcin dazu. Wie genau das von stattenging habe ich wohl verdrängt – auf jeden Fall fingen Marcin und Saša Couchsurfer zu sich zu holen. Mittlerweile ist eine Art Hippiekommune daraus geworden. Auf dem Grundstück steht ein kleiner Wohnwagen in dem man schlafen kann, die übrigen schlafen entweder in Zelten oder Hängematten. Wahrscheinlich habe ich die Hälfte meiner Zeit in Šišan gedankenverloren in meiner Lieblingshängematte verbracht. Eine riesige, weiße Tür dient als Gemeinschaftstisch und es gibt sogar eine kleine Outdoorküche. Das ganze funktioniert auf Spendenbasis und da es den Leuten hier so gut gefällt funktioniert es auch ziemlich gut. Es sind immer rund zehn Couchsurfer gleichzeitig am Start. Die Zeit zerfließt da hin. Eigentlich wollte ich nur zwei Nächte bleiben – es wird eine Woche daraus. Jeden Tag reden wir darüber, dass wir morgen fahren werden. Maybe tomorrow, maybe the day after tomorrow. Es ist ein Ort an dem man alles hat was man braucht. Versunken in einem Traum. Versunken in der Hängematte. Versunken im Meer. Gemeinsam besingen wir die Nächte und sind füreinander da. Irgendwann fällt bei jedem die Maske und jeder gibt sich in seiner wahren Kernform – man erkennt dann, was man immer wieder vergisst – dass wirklich jeder irgendwo einen Knacks weg hat und jeder Knacks hat etwas schönes.
Irgendwann entschließen sich einige von uns dazu etwas aktiver zu sein und machen einen Ausflug. Wir leihen uns Fahrräder aus und fahren in einen Nationalpark. Der Hinweg ist steinig, von Steigungen geprägt und dauert drei Stunden. Drei Stunden in der sengenden Mittagshitze. Ich bin nicht die Sportlichste und habe ein Rad abbekommen bei dem die Gänge nicht richtig funktionieren, aber durchbeißen war ja schon immer meine Stärke. Der Hauptgrund für diese dezente Odyssee ist die Aussicht auf einen Sprung. Cliff diving nennt sich das. Nachdem wir uns also in einer komplett aus Stroh bestehenden Bar kurz ausgeruht haben geht es an die eigentliche Mission des Tages.
Springen. Ich. Springen macht mir immer Angst. Vor allem in’s Wasser. Selbst wenn es nur ein Meter ist, ja selbst bei einem kleinen Hopser. Jedes Mal muss ich mich überwinden, auch wenn ich mich jedes Mal danach großartig fühle. Es ist mein Respekt vor dem Meer, gemischt mit Höhenangst und dem Fakt dass man nie wirklich genau sagen kann, wie es sich anfühlen wird. Dass alles zusammen lässt mein Herz rasen. Als Kind bin ich unerschrocken gewesen. Mit elf habe ich sogar mal Bungeejumping gemacht. Es hat mich alles nicht interessiert, ich wollte nur den süßen Adrenalinkick. Letztes Jahr führte mein zweiter epileptischer Anfall dann dazu, dass ich Angst bekam. Vor allem. Wenn ich Nachts nach Hause ging, traute ich mich nicht mehr dabei Musik zu hören und zuckte bei jedem Geräusch zusammen, ich hatte Angst im Dunkeln, vor Wasser, vorm Fahrradfahren, vor Kabeln – Elektrizität allgemein. Ich ging nur noch selten feiern, weil es für mich zur kompletten Reizüberflutung wurde und die Technobeats, die ich früher so liebte löste Herzrasen aus. Ich bekam regelmäßig Panikattacken und konnte nicht mal mehr Kaffee trinken, weil mich jede noch so kleine erhöhte Herzfrequenz sofort triggerte. Ich ging immer seltener aus dem Haus, weil ich Angst hatte alleine nach Hause zu müssen und wurde für meine Verhältnisse extrem introvertiert. Ich konnte nicht mehr ich selbst sein. Das schlimmste ist, dass einem die Irrationalität bewusst ist – es ist trotzdem schwierig etwas dagegen zu tun. Der beste Weg eine Angst zu überwinden, ist sie nicht zu meiden. Angst hört nie auf. Wenn man die eine umgeht, kommt die nächste. In den letzten Monaten habe ich viele meiner Ängste selbst überwunden – ich wollte nicht, dass es mich einschränkte. Ich wollte wieder unerschrocken sein. Die letzte Panikattacke hatte ich im Februar. Nach und nach schwanden die Ängste und seit ich angefangen habe zu reisen ist nur noch ein kleiner Rest übrig. Darunter eben diese Sprungangst.
Als ich auf der acht Meter hohen Klippe stehe und in’s Türkise Wasser hinabschaue, weiß ich sofort, dass ich springen muss. Dass ich nicht gehen werde, bevor ich auch diese Angst überwunden habe. Meine Freundinnen denken überhaupt nicht darüber nach. Ein kurzer Schrei, ein kleiner Hüpfer – das war’s. Ich denke mir im ersten Moment auch, dass es doch gar nicht so schwer sein kann, setze einen Fuß vor und – da ist es. Herzrasen, schwitzige Hände und natürlich sieht das Wasser von Sekunde zu Sekunde bedrohlicher und ferner aus. Ich lasse andere vor. Viel zu viele. Ich sehe Kinder, die von der elf Meter hohen Klippe springen und ich sehe, dass nichts passiert. In meinem Kopf streiten sich Rationalität und Angst, aber ich will. Ich weiß dass es passieren wird. Irgendwann werden die umstehenden auf mich aufmerksam. Natürlich – ich steh da ja auch schon seit mehr als einer halben Stunde mit ausgestrecktem Fuß. Geil. Jetzt sind alle Blicke auf mich gerichtet. „What’s her name?“ „Just jump!“ „You didn’t have enough Sangria.“ Mindestens 30 Menschen haben ihren Blick auf mich gerichtet. Ein Fuß – soweit, dass ich mich nicht mehr halten kann. Ich zittere, ein Schrei, eine Schwebe, eine Leichtigkeit – ein paar Sekunden. Ich höre die Menschen über mir schon johlen und klatschen, während ich Unterwasser bin. Für manche von euch, scheint es übertrieben klingen, doch dieser Sprung hat mir so viel bedeutet. Noch nicht mal der Sprung – die Überwindung. Ein Beweis – so glasklar. Als ich grinsend auftauchte und mir all diese Menschen fremden Menschen zujubelten, fühlte sich das an, wie eine Bestätigung für die letzten Monate. Für das Kämpfen. Für die fielen Momente in denen ich glaubte, dass ich nie aus meinem verkorkstem Kopf rauskommen würde und trotzdem weitermachte. Es einfach versuchte. Ich werde immer noch vor den meisten Sprüngen Angst haben. Es wird immer noch Menschen geben, für die acht Meter oder mehr ein Kinderspiel ist. Wichtig ist, dass ich mich überwinden kann, wenn ich möchte. Ich kann selbst entscheiden ob ich springe oder nicht – es ist nicht mehr die Angst, die es mir verwehrt. Das ist eine Freiheit, die ich sehr zu schätzen gelernt habe.
Auf dem Weg zurück geht es glücklicherweise hauptsächlich Berg ab. Wir heben die Hände hoch – die Haare wehen im Wind, die goldene Abendsonne lässt unsere Haut schimmern. Es ist fast zu schön um wahr zu sein und irgendwie auch ein wenig kitschig. So ein richtiges young, wild and free Cliché, aber Clichés sind ja nicht zwangsläufig schlecht.
An einem anderen Tag sind wir auf einem Festival. Mit Farbe im Gesicht und Blick auf’s Meer. Ein Haufen zusammengewürfelter Menschen, die sich aufeinander einlassen. Überschwänglich und unkontrolliert. Ja auch das ist ein großer Gewinn an Lebensqualität. Ich kann mich auf Partys wieder richtig gehen lassen und die Stimmung genießen – ohne Angst, vor was auch immer.
Leise rieselt der Schnee im Inneren, während wir im Morgengrauen am Wasser sitzen und reden. Das mag ich am liebsten am Ausgehen. Dieser konfuse Morgen danach. Es wird langsam hell. Die Dämmerung ist wunderschön, die Welt atmet auf und jeder ist ziemlich verwirrt und out of space. Am Tag nach der durchtanzten Nacht fragt man sich durchgängig, wie das nochmal funktioniert mit dem normalem Leben. Wie ist man eigentlich normal? Aber letztlich ist das einzig wichtige, dass ich auf meine nackten, durch das Salzwasser aufgeweichte Füße hinabblicke. Dass das nicht nur meine Füße sind, sondern auch die von Maia, Kat und Ellen – mit denen ich mich so selbstverständlich verbunden fühle. Es existiert nur noch die fast schon unangenehm schwüle Luft, der schwere Kopf und dieses leise Glück. Nicht diese überschwängliche, sich nach außen tragende Version von Glücklichsein. Es ist diese Art der inneren Zufriedenheit. Sie ist einfach da, während man am Wasser sitzt und anscheinend alles hat was man eigentlich braucht. Leise klopft ein Gedanke an. Ein wohliger Seufzer und das Gefühl von Geborgenheit. Als wäre man angekommen, für einen kurzen Moment.
Nach einer Woche entscheide ich zu gehen, weil ich merke, dass es mit jedem Tag schwerer wird diesen Ort der Leichtigkeit zu verlassen. Natürlich könnte ich noch länger bleiben, aber irgendwas sagt mir, dass es jetzt richtig ist. Jedes Mal wenn ich länger als drei Tage an einem Ort gewesen bin (und mich dort wirklich wohl gefühlt habe) ist es unheimlich merkwürdig Abschied zu nehmen. Da ich schon vor meiner Reise ständig umgezogen bin und seit letztem Oktober keine eigene Wohnung mehr hatte, habe ich ein sehr ausgeprägtes Anpassungsvermögen entwickelt und fühle mich meistens nach einigen Stunden schon wie Zuhause. Ich baue sehr schnell Bindungen auf. Sowohl zu Menschen als auch zu Orten. Das ist natürlich ein großer Vorteil beim Reisen, aber es ist jedesmal eben auch ein recht schwerer Abschied. Halb aufgeregt auf das Kommende, halb wehmütig über das Vergangene und außerdem noch völlig out of space vom Festival sitze ich im Bus und lasse die märchenhafte Küste Kroatiens an mir vorbeiziehen. Ich frage mich, ob ich irgendwann zu diesem kleinen Zuhause zurückkehren werde.
Well…maybe tomorrow, maybe the day after tomorrow.