in Ljubljana

Urška bestreicht ihre Scheibe Brot mit einer gefühlt zentimeterdicken Schicht Nutella, zögert kurz und fügt dann noch etwas Erdnussbutter hinzu. Dunkelrote Strähnen umrahmen ihre feinen Gesichtszüge. Sie schaut nachdenklich aus dem Fenster. Die Küche in der WG ist klein, aber sehr gemütlich. Die Wände sind fast komplett mit Zetteln beklebt – von Putzplänen, Notizen und Überbleibseln verschiedener Trinkspiele ist alles dabei. Außerdem Bilder von der schwarzen Katze Walter, die vierte Mitbewohnerin der WG. Ich couchsurfe bei Jan, der gerade Kaffee macht und mit drei Mädchen zusammen in Ljubljana wohnt. Er studiert Wirtschaft, wirkt aber nicht wie der typische BWL-Stereotyp. Als ich vor seiner Tür stand begrüßte er mich etwas nervös, doch schon bald ist das Eis gebrochen. Er schreibt selbst Lieder und denkt auch ganz schön um die Ecke.

Er zeigt mir die Stadt. Ljubljana ist klein und süß, aber trotzdem urban. Wir kaufen Bier und wandern durch Metelkova. Ein autonomes Gelände mit besetzten Häusern. Ich werde ein bisschen wehmütig, weil mich der Charakter sehr an das Tacheles in Berlin erinnert. Das existiert leider nicht mehr. Dafür pulsiert die Künstlerszene in Metelkova. An jeder Ecke sind Graffiti und Street Art zu finden, außerdem Skulpturen. Man muss sich ein bisschen anstrengen, um die Details bewusst wahrzunehmen und den überblick nicht zu verlieren. Später setzen wir uns an einen Springbrunnen und fangen an Menschen zu beobachten und uns auszumalen, was sie wohl für ein Leben haben und woran sie gerade denken. Wir waren uns sicher, dass mindestens drei von ihnen Spione auf einer geheimen Mission sind. Wir verstehen uns gut, Jan ist nur teilweise etwas überfordert von meiner Schlagfertigkeit. Seit es mir wieder gut geht, bin ich viel sarkastischer geworden und muss wirklich aufpassen, dass ich den Menschen nicht all zu arg auf den Schlips trete. Jan ist letztendlich der Meinung, dass meine große Klappe ganz liebenswert ist. Also bin ich auf der sicheren Seite.

Später fängt es an in Strömen zu regnen. Während wir plitschnass unter einem Baum stehen reden wir über Politik und rauchen. Jan kommt immer mehr ins philosophieren. Er ist sehr überzeugt von sich selbst und seiner Meinung. Manchmal habe ich fast das Gefühl, es wäre ihm egal ob ich ihm zuhöre oder nicht, er würde seinen Monolog einfach weiterführen. Das passte ganz gut zusammen, als wir später stoned waren. Er konnte seinen Laberflash ausleben, während ich einfach nur stumm im Bett liegend meinen Tagträumen nachgehen konnte und fünf Bananen aß.

Abends treffe ich Urška, die eine ehemalige Bewohnerin der WG ist und Anita. Es liegt Nostalgie in der Luft, weil Urška für lange Zeit in Berlin gearbeitet hat. Ich fühle mich unendlich wohl, wie in einer kleinen Familie. Wir essen kalte Pasta und Schokokekse. Anita ist 28 und unheimlich fasziniert von Deutschland und Bosnien. Sie träumt davon, Ljubljana zu verlassen. Als ich ihr von den Möglichkeiten des Wwoofings und workaway erzähle, wird sie ganz euphorisch. Das liegt nicht am Rotwein, sondern an ihrem Wunsch der Lethargie zu entkommen. Anitas Wesen ist allgemein recht überschäumend, fast schon kindlich und sehr einnehmend. Urška erzählt viele Geschichten von ihrem Leben in Berlin, vor allem von den Arabern und Indern mit denen sie dort zusammenwohnte. Wir ziehen auf den Balkon und die drei erzählen sentimentale Geschichten aus der Zeit als sie alle zusammenwohnten. Die Luft riecht nach Sommer und die Sterne sind nah. Anita geht irgendwann duschen und man hört durch die Tür, wie sie sich recht elefantenähnlich die Nase schnäuzt. Urška fängt an zu kichern und sagt, dass sie dieses Schnäuzen von Anita vermisst hat. Es sind manchmal ganz verrückte Dinge die ein Zuhause ausmachen können. Meistens sind es unterschwellige Regelmäßigkeit unserer Mitmenschen, vor allem Macken.

Momentan kann ich irgendwie überall Zuhause sein.

Am nächsten Tag sitzen wir also alle zusammen am Frühstückstisch, essen Weißbrot mit ungesundem Zeug und trinken Kaffee. Jan hätte eigentlich zur Arbeit gemusst, hat aber komplett verschlafen. Es ist Sonntag und ich werde in eine „Tradition“ eingeweiht, die bisher nur einmal stattgefunden hat. Jan und Anita haben beschlossen sich mehr zu bewegen und wollen jetzt mindestens einmal die Woche den Berg im Tivolipark besteigen. Oben auf dem Berg gibt es ein Restaurant mit slowenischen Spezialitäten und sie erzählen mir, dass es allgemein sehr slowenisch ist einen Berg zu besteigen und sich dann oben mit Ričet zu belohnen. Ričet ist ein sehr dickflüssiger Eintopf mit Bohnen und Gerste. Vier verplante, verkaterte, junge Menschen auf Wanderschaft. Wir sind richtig stolz auf uns, als wir oben ankommen.

Abends koche ich Curry und lege Anita, ihrem Freund, Urška und Jan die Karten. Mittlerweile muss ich die Bedeutung der meisten Tarotkarten nicht mehr nachlesen und das macht die ganze Angelegenheit etwas leichter. Ich geh richtig darin auf, die Karten miteinander zu verbinden und eine sinnvolle Geschichte daraus zu machen. Es ist auch immer wieder interessant die Reaktionen der Skeptiker zu sehen, weil es immer wieder verrückt ist wie sehr die Karten manchmal in’s Schwarze treffen. Anita ist natürlich wieder komplett von den Socken und unheimlich überzeugt von der Wahrheit des Tarots.

Ich bedanke mich bei allen dafür, dass ich so ein selbstverständlicher Teil ihres Alltags sein konnte. Während ich diesen Bericht schreibe, bin ich gerade in einem Hostel und ich muss sagen, dass ich in den folgenden Monaten nur noch entweder Volunteering oder Couchsurfing machen werde und mir die Hostels spare, sofern es möglich ist. Im Hostel trifft man natürlich auch interessante Menschen, aber man kommt aus der Travellerblase nicht raus. Die Gespräche verlaufen immer sehr ähnlich. „Woher kommst du? Wo warst du schon? Hast du Instagram?“ Wenn man ein Projekt oder Couchsurfing macht ist man Teil eines tatsächlich existenten Alltags – auch wenn dieser nicht geordnet sein muss, aber es ist ein reales Leben und daraus kann ich persönlich wesentlich mehr mitnehmen.

in Ljubljana

die erste Farm im Nirgendwo

Ich muss gestehen, dass ich mir ein bisschen Sorgen gemacht habe, ob das mit dem Wwoofing eine gute Idee ist. Bisher habe ich mich nicht unbedingt ums Gärtnern gerissen. Da ich nicht gerade für meinen grünen Daumen bekannt bin, hab ich einige Balkonpflanzen meiner Mitbewohner auf dem gewissen (ja Anne – ich schulde dir immer noch einen Topf Thaibasilikum) und wenn ich Pflanzen kaufte, dann grundsätzlich nur Kakteen denen es am besten ging, wenn man sich nicht um sie kümmerte.

Also traut sich ein typisches Stadtkind aufs Land. Die Farm von Luzia und Borut liegt irgendwo im Nirgendwo Sloweniens. Borut holte mich vom Bahnhof in Sevnica ab. Diese Stadt ist als Melania Trumps Geburtsort bekannt, weshalb sie dort auch „Melaniacake“ mit einer amerikanischen Flagge drin verkaufen. Das wars auch schon. Im Auto ist das Radio laut gestellt, die Fenster sind geöffnet. Borut tritt aufs Gas, während wir immer höher die Berge hinaufjagen. Irgendwann lassen wir jegliche Dörfer hinter uns. Alle 800 Meter führt eine Landstraße zur nächsten Farm. Borut nimmt die engen, ansteigenden Kurven so scharf, dass ich immer wieder innerlich zusammenzucke. Rechts und links von der sandigen Straße geht es bergab. Die Berglandschaft ist allerdings wunderschön. Borut zeigt auf einen Punkt in der Ferne und erzählt, dass man von dort aus bei guter Sicht bis nach Kroatien sehen kann.

Auf der Farm gibt es mehrere Hühner, zwei Schweine, eine Schafherde und einen Hündin. Sie heißt Odi und ich schließe sie von Anfang an in mein Herz. Das weibliche Schwein bekommt in den nächsten Tagen ein paar kleine Ferkel, für diese wurde extra vor kurzer Zeit ein niedliches Holzhaus errichtet.

Auf dem großen Grundstück wird unendlich viel Gemüse angebaut. Unter anderem Kartoffeln, Rote Beete, Rosenkohl, Kohlrabi, Tomaten, Paprika – dazwischen Ringelblumen, Kamille und Salbei. Überall duftet es nach Kräutern. Die Himbeerbüsche und Aprikosenbäume quellen über. Ein kleines Paradies.

Ich bin nicht die einzige Wwoferin. Momentan sind wir zu fünft. Die anderen sind aus Tschechien, Finnland und Neuseeland. Abends sitzen wir oft noch zusammen und bewundern bei einem Glas Wein den klaren Sternenhimmel.

Ich muss ehrlich sagen, dass mir die Arbeit unendlich viel Spaß macht. Seit einer Woche bin ich hier und mittlerweile freue ich mich schon morgens darauf Unkraut zu zupfen, Kartoffelfelder umzugraben, die Tiere zu füttern oder den Wein zu stutzen. Feldarbeit hat schon etwas sehr meditatives und ich komme hier richtig bei mir an. Wenn man fertig ist, sieht man wie viel man in den wenigen Stunden geschafft hat und das bei einer grandiosen Aussicht.

Mittags setze ich mich oft mit meiner Ukulele in eines der Felder oder in das Baumhaus. Mein Blick schweift über das satte Grün der Berge, die kleinen Häuschen in der Ferne. Über mir die Wolken, die so nah erscheinen, dass ich fast das Gefühl habe nach ihnen greifen zu können. Ein Ort der Ruhe. Innen wie außen.

 

die erste Farm im Nirgendwo